Pflegereform: Entlastung für Pflegekräfte und Pflegebedürftige?

Das deutsche Pflegesystem steht immer mehr unter Druck. Schon lange gibt es Forderungen nach einer Reform. Durch die Coronakrise hat sich die Lage zusätzlich verschärft. Eine Pflegereform soll es jetzt geben. Unter anderem sollen Pflegekräfte besser bezahlt und Pflegebedürftige finanziell entlastet werden.

11.06.2021
  • Lesezeit ca. 5 Minuten
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    11.06.2021
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Seniorin und junge Frau
© Pixel-Shot/www.shutterstock.com

Schon Ende 2020 wurde berichtet, dass Gesundheitsminister Jens Spahn im Jahr 2021 eine umfassende Pflegereform einleiten möchte. Die Rede war von Änderungen in vielen Bereichen: Pflegeheimbewohner sollten finanziell entlastet werden. Eine Deckelung des Eigenanteil war dafür vorgesehen. Auch ambulante Pflegeleistungen für die Pflege zu Hause standen im Visier der geplanten Reform. Pflegegeld, Pflegesachleistungen und Zuschüsse zur Tages- und Nachtpflege sollten erhöht werden. Auch der Pflege-Bahr sollte steigen, sodass mehr Menschen die geförderte private Pflegeversicherung in Betracht ziehen.

Lange wurde die geplante Pflegereform diskutiert und im Juni 2021 schließlich von der Bundesregierung beschlossen. Doch was genau ist aus den Plänen geworden? Konnten die vorgesehenen Änderungen eingehalten und die angekündigte Reform durchgesetzt werden?

Mehr Geld für Pflegekräfte

Nachdem der von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil angeregte Austausch über einen branchenweiten Tarifvertrag für die Altenpflege Anfang des Jahres 2021 gescheitert war (wir berichteten), ist die Bezahlung nach Tarif für alle Pflegekräfte nun doch Teil der Pflegereform geworden. Medienberichten zufolge sollen Pflegeeinrichtungen ihre Angestellten ab September 2022 nach Tarif bezahlen müssen. Laut Tagesschau könnte die Lohnerhöhung für Altenpflegekräfte bis zu 300 Euro im Monat betragen. Des Weiteren sei ein bundesweiter Personalschlüssel beschlossen worden, der dafür sorgen soll, dass Heime mehr Personal einstellen.

Um die Bezahlung nach Tarif zu ermöglichen, sollten Pflegeheime nur mit der Pflegeversicherung abrechnen dürfen, die sich an den Tarif halten. Pflegeforscher Hein Rothgang von der Universität Bremen sieht die Umsetzung dieser Idee jedoch kritisch: „Jetzt wird doch wieder unterschieden zwischen den an den Tarif gebundenen, an den Tarif angelehnten und den nicht an den Tarif gebundenen Einrichtungen. Gerade bei Letzteren gibt es wieder die ortsübliche Vergütung. Man wird sehen, wie es in der Umsetzung läuft, aber ich bin da etwas skeptisch. Das Thema ist eine sehr komplizierte Materie, welche Umgehungsmöglichkeiten es gibt, durchschaue ich auch nicht vollständig. Es wird aber ein Flickenteppich bleiben und ich habe dabei kein gutes Gefühl“, sagt er im Interview mit buten un binnen. Auch die Regelungen zum Personalschlüssel stoßen auf Kritik: Mehr Personal bedeutet immerhin mehr Kostenaufwand für Pflegeeinrichtungen. Kritiker befürchten, dass diese Kosten letztendlich am Heimbewohner hängen bleiben.

Entlastung beim Eigenanteil im Pflegeheim

Wie das Bundesgesundheitsministerium in einer Meldung berichtet, sollen Pflegeheimbewohner finanziell entlastet werden. Die Höhe der Entlastung richtet sich dabei nach der Dauer der vollstationären Pflege. Wer lange im Heim gepflegt wird, soll um rund 638 Euro im Monat entlastet werden.

Dauer vollstationäre PflegeEntlastung in Euro*Entlastung in Prozent
Ab dem 1. Monat465
Mehr als 12 Monate22825
Mehr als 24 Monate41045
Mehr als 36 Monate63870

Quelle: Bundesgesundheitsministerium
* Zahlen gerundet; Bezogen auf einen durchschnittlichen Eigenanteil von 911 Euro.

Achtung: Der sogenannte Eigenanteil bezieht sich nur auf die reinen Pflegekosten! An den Pflegekosten beteiligt sich die Pflegekasse teilweise, der Rest wird als „Eigenanteil“ bezeichnet. Für einen Platz im Pflegeheim müssen Pflegebedürftige aber weitaus mehr zahlen. Hinzu kommen Kosten für Unterkunft und Verpflegung und der sogenannte Investitionszuschuss. Insgesamt belaufen sich die Kosten für einen Heimplatz daher im Schnitt um die 2.000 Euro. Die Reform entlastet Betroffene nur beim Eigenanteil.

Kritik kommt unter anderem auf, weil die Entlastung prozentual stattfinden soll. Ursprünglich war eine feste Deckelung des Eigenanteils geplant. Nun wird dieser lediglich prozentual verringert. Das bedeutet aber: Sollte sich der Eigenanteil um beispielsweise 200 Euro erhöhen, müssen Pflegebedürftige dennoch mehr zahlen als zuvor.

Mehr Zuschuss für häusliche und ambulante Pflege

Ursprünglich geplant war, dass sowohl Pflegegeld als auch Pflegesachleistungen zum 1. Juli 2021 um 5 Prozent steigen sollen. Die Erhöhung des Pflegegelds wurde aus der Reform gestrichen. Die Pflegesachleistungen sollen aber wie geplant um 5 Prozent erhöht werden, jedoch erst zum 1. Januar 2022. Daraus ergeben sich folgende Beträge für die Pflegesachleistungen:

  • Pflegegrad 2: Bisher 689 Euro, nach Erhöhung 724 Euro
  • Pflegegrad 3: Bisher 1.298 Euro, nach Erhöhung 1.363 Euro
  • Pflegegrad 4: Bisher 1.612 Euro, nach Erhöhung 1.693 Euro
  • Pflegegrad 5: Bisher 1.995 Euro, nach Erhöhung 2.095 Euro

Hinweis: Zahlen gerundet, Angaben ohne Gewähr.

Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege

Die Verhinderungs- und Kurzzeitpflege sollte vereinfacht werden. Bisher können Pflegebedürftige die Verhinderungspflege oder Kurzzeitpflege mit jeweils 1.612 Euro pro Jahr in Anspruch nehmen. Eine Kombination beider Leistungen ist möglich, sodass ein Höchstbetrag von 3.224 erreicht werden konnte. Da die wenigsten Menschen von dieser Möglichkeit wissen, sollte es ein allgemeines Entlastungsbudget von 3.300 Euro im Jahr geben. Diese geplante Änderung wurde offenbar in der Reform nicht berücksichtigt. Stattdessen steigt der Betrag für die Kurzzeitpflege von 1.612 Euro auf 1.774 Euro. Eine Kombination mit der Verhinderungspflege ergibt dann 3.386 Euro.

Wie wird die Reform finanziert?

Um die geplanten Maßnahmen zu finanzieren, soll der Bund ab 2022 jährlich einen Zuschuss an die Pflegeversicherung zahlen, und zwar in Höhe von einer Milliarde Euro. Außerdem sollen Kinderlose einen höheren Beitrag für die Pflegeversicherung zahlen. Wer keine Kinder hat, soll künftig einen Beitrag in Höhe von 3,4 Prozent des Bruttolohns zahlen (statt vorher 3,3 Prozent).

Stand Dezember 2020: Das war geplant

Maximal 700 Euro Eigenanteil im Heim

Medienberichten zufolge beinhaltet das Eckpunktepapier zur Pflegereform 2021 eine Deckelung des Eigenanteils für Pflegeheim-Kosten. Maximal 700 Euro pro Monat sollen demnach für die stationäre Pflege anfallen – und das für höchstens 3 Jahre.

Aber Achtung: Es handelt sich hierbei lediglich um den einheitlichen Eigenanteil, der sich auf die Pflegekosten bezieht. Aktuell beträgt dieser im Schnitt 786 Euro, wie aus Daten des VDEK hervorgeht. Zusätzlich zum einheitlichen Eigenanteil müssen Heimbewohner auch für die Verpflegung und die Unterbringung zahlen (im Schnitt 774 Euro). Hinzu kommt außerdem der sogenannte Investitionszuschuss (im Schnitt 455 Euro). Zusammen ergibt sich daraus also ein monatlicher Betrag von über 2.000 Euro. Die vorgesehene Deckelung bezieht sich lediglich auf einen Teil dieser Summe, nämlich auf den einheitlichen Eigenanteil für die Pflegekosten.

Für die Investitionskosten ist eine andere Neuerung geplant: Pflegeheimbewohner sollen auch hier weniger zahlen, während die Länder stärker in die Pflicht genommen werden sollen. Pro Heimbewohner sollen die Länder 100 Euro im Monat zahlen.

Mehr Zuschuss für häusliche und teilstationäre Pflege

Auch für Menschen, die zu Hause gepflegt werden, soll es finanzielle Entlastung geben. Die Leistungen der Pflegekasse sollen zum 1. Juli 2021 um 5 Prozent steigen. Das bezieht sich sowohl auf das Pflegegeld als auch auf die Pflegesachleistungen. Pflegegeld erhalten Menschen, die zu Hause von Angehörigen oder Bekannten gepflegt werden. Pflegesachleistungen erhalten Menschen, die zu Hause von einem ambulanten Pflegedienst gepflegt werden und/oder Tages- und Nachtpflege in Anspruch nehmen.

Für die einzelnen Pflegegrade würden sich daraus folgende Änderungen ergeben:

Pflegegrad 2

  • Pflegegeld. Bisher: 316 Euro; Geplant: 332 Euro
  • Pflegesachleistungen. Bisher: 689 Euro; Geplant: 723 Euro

Pflegegrad 3

  • Pflegegeld. Bisher: 545 Euro; Geplant: 572 Euro
  • Pflegesachleistungen. 1.298 Euro; Geplant: 1.363 Euro

Pflegegrad 4

  • Pflegegeld. Bisher: 728 Euro; Geplant: 764 Euro
  • Pflegesachleistungen. 1.612 Euro; Geplant: 1.693 Euro

Pflegegrad 5

  • Pflegegeld. Bisher: 901 Euro; Geplant: 946 Euro
  • Pflegesachleistungen. Bisher: 1.995 Euro; 2.095 Euro

Hinweis: Zahlen gerundet, Angaben ohne Gewähr.

Pflegehilfsmittel und Verhinderungspflege

Auch die Pauschale für Pflegehilfsmittel soll dauerhaft auf 60 Euro erhöht werden. Ab 2023 sind hier regelmäßige Anpassungen an die Inflationsrate geplant.

Eine weitere Änderung soll es bei der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege geben. Die Leistungen sollen zusammengefasst werden, sodass für pflegende Angehörige ein sogenanntes Entlastungsbudget in Höhe von 3.300 Euro im Jahr zur Verfügung steht. Bisher ist es möglich, Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege mit jeweils 1.612 Euro pro Jahr zu nutzen. Man kann auch beide Leistungen kombinieren und somit den Höchstbetrag von 3.224 Euro erreichen. Nicht jeder weiß aber, dass diese Kombinationsmöglichkeit besteht und wie sie am besten genutzt wird. Die neue Regelung rund um das Entlastungsbudget verspricht einfacher zu werden.

Förderung: Pflege-Bahr wird erhöht

Auch der Pflege-Bahr soll steigen. Hierbei handelt es sich um eine Förderung der privaten Pflegeversicherung. Wer eine private Pflegeversicherung abschließt, erhält im Alter mehr Leistungen für die Pflege. Der Staat fördert die Versicherung, indem er einen Teil des Beitrags übernimmt. Bisher sind es 5 Euro im Monat. Dieser Zuschuss soll künftig 15 Euro im Monat betragen.

Text wurde aktualisiert und erschien ursprünglich am 01.12.2020

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